Mehr hielt der 4. September 1949 nicht bereit für Herta Heuwer. Die Berliner Imbissverkäuferin wartete an jenem Tag vergebens auf Kundschaft. Selbst die Hauptstädter setzten an diesem stürmischen Sonntag nur ungern einen Fuß vor die Tür. Im Büdchen in der Kaiser-Friedrich-Straße blieben die Stehtische leer. Die Kochtöpfe dagegen nicht. Heuwer versuchte sich an neuen Soßen. Eine Vielzahl an Gewürzen hatte sie dafür auf dem Schwarzmarkt besorgt. Etwas Besonderes wollte sie kreieren. Etwas, das von Innen wärmt. Etwas für alle. Am Ende des Tages hatte sie des Deutschen liebsten Sattmacher erfunden: die Currywurst.
So erzählen sich jedenfalls die Berliner die Geburtsstunde der „Curry“. Fragt man dagegen einen Hamburger, bekommt man eine ganz andere Geschichte aufgetischt. Auch wenn Herta Heuwer ihre Kreation nachweislich 1959 als „Chillup“-Soße zum Patent angemeldet hat – als wahre Mutter aller Currywürste wird an der Alster Lena Brücker gefeiert. Sogar ein Buch gibt es schließlich über die Wurstbraterin, die Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ von Uwe Timm. Sie schildert zwar eine fiktive Liebesgeschichte. „Über die Currywurst aber nichts als die Wahrheit“, so der Autor.
Und die Geschichte der Hamburger Currywurst geht so: Nach dem Zweiten Weltkrieg betrieb Brücker einen Stand am Großneumarkt und entdeckte eines Tages per Zufall, wie gut Curry und Ketchup harmonieren. Nach einem Sturz im Treppenhaus vermischte sich beides, und die kulinarische Leckerei offenbarte sich. Nur wenige Tage später stand die Currywurst auf Brückers Angebotsliste ganz oben und verzückt seitdem nicht nur die Hamburger.
Wurst ohne Darm als Markenzeichen
Waltraud Ziervogel kann über solche Anekdoten nur lachen. Auch dass Bochum die Wiege des beliebten Sattmachers sei, glaubt sie keinesfalls. „Die Amerikaner oder Engländer, die haben die Currywurst nach dem Krieg mit nach Deutschland gebracht“, ist sie sich sicher. Wer genau der Erste war, der das indische Gewürzpulver mit Ketchup vermengt über die Wurst kippte, interessiert die Frau mit der rosagestreiften Kittelschürze sowieso nicht. „Wichtig ist doch, wer die beste macht“, knattert die 72-Jährige. „Und da sind Sie bei uns schon ganz richtig.“
Nach Heuwer und Brücker ist Waltraud Ziervogel sozusagen die dritte Dame vom Curry-Grill. Ihr Vater war der Wurstmaxe Berlins. 1930 zog Max Konnopke nur mit einem Klapptisch und einem Zelt unter die Hochbahn an der Eberswalder Straße im Ostteil der Stadt. Von abends sieben bis morgens fünf Uhr stand er an der Kreuzung Kastanienallee und verkaufte den Schichtarbeitern Bockwürste und Knacker. Currywurst-Zeiten waren da noch keine angebrochen. „Die kamen erst später. Aus der Not heraus“, so die Tochter.
Bis in die fünfziger Jahre hielt sich der Familienbetrieb mit ein bisschen von allem über Wasser. Dazwischen kämpfte Konnopke im Zweiten Weltkrieg, erlebte die Teilung Berlins, die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik. Ab 1958 regulierte das Fleischkombinat dann die Preise: Eine Bockwurst musste 80 Pfennig kosten, mit Brot fünf Pfennig mehr. Das war zwar Gesetz, sicherte aber keine Existenz. 1960, kurz vor dem Bau der Mauer, brachte Konnopke die Currywurst aus West-Berlin mit, um sie als Erster im Ostteil der Stadt zu verkaufen. „Weil aber in der DDR schon damals kein Naturdarm aufzutreiben war, mussten wir uns zu allererst überlegen, wie wir die Wurst ohne Pelle überhaupt produziert kriegen“, erinnert sich Waltraud Ziervogel. Ein befreundeter Fleischer half, und bald gab es „Curry ohne“ für 90 Pfennig. Bis heute ist sie das Markenzeichen des Familienunternehmens geblieben.
Großes Geheimnis um die perfekte Soße
Um die Soße wird noch immer ein großes Geheimnis gemacht. „Früher haben wir den Ketchup selbst angerührt“, verrät Ziervogel. „Gab ja keinen gescheiten.“ Mühsam sei das gewesen, weil es selten alle Zutaten gab, geschweige denn zum gleichen Zeitpunkt. Also wurde improvisiert. Mit Paprikapulver aus Ungarn, Tomatenmark aus Jugoslawien und Gewürzen aus dem ganzen Ostblock. Heute wird der Ketchup eingekauft und verfeinert. „Dennoch“, so die Chefin, „schmeckt bei uns alles noch genauso wie vor 30 Jahren.“ Dass die Leute immer noch kommen und Konnopke einen Namen hat, auch über Berlin hinaus – darauf ist sie stolz. Das alles ist zu großen Teilen auch ihr Verdienst.
Nach dem Tod des Vaters übernahm Ziervogel 1976 den Imbiss im Zentrum, ihr Bruder Günter die Filiale weiter draußen in Weißensee. Zur Herrin der Ostberliner Currywürste wurde die damals 40-Jährige aber, weil sie schon um 4.30 Uhr den Herd anschmiss. Vor der Schicht in der Fabrik oder nach einer durchzechten Nacht lockte sie die Berliner an ihren Stand. „Manches Mal standen die Leute über 50 Meter an“, erinnert sie sich.
Heute bilden sich nur noch um die Mittagszeit Schlangen. Dann muss es nach wie vor schnell gehen, und alle Sitzplätze um die Holztische im „Gärtchen“ sind besetzt. Nach Idylle fühlt es sich in dem 1981 fertiggestellten Anbau allerdings nicht an. Vierspurig donnern die Autos vorbei, über den Köpfen rattert die U-Bahn in die Station, man versteht schwer sein eigenes Wort. „Das gehört aber dazu“, meint die Chefin. „Currywurst muss man draußen essen, da wo’s laut ist, da wo Leben ist.“
Mit dem Wandel der Stadt veränderte sich für die Konnopke-Dynastie auch die Kundschaft. „Früher kam der klassische Arbeiter und hat sich was Warmes für den Magen besorgt. Der wohnt heute nicht mehr hier – oder er hat kein Geld für ’ne Wurst.“ Heute sind es die Studenten und jungen Erfolgreichen aus dem Szene-Kiez Prenzlauer Berg, die kommen und essen. Und die Touristen, die in ganzen Busladungen angekarrt werden. Die wenigsten von ihnen wissen, dass man die Currywurst ursprünglich am Stück aß. „Mit der Hand“, belehrt Ziervogel, „zwischen Daumen und Zeigefinger.“ Geschnitten kam die Wurst nur im Westen auf den Pappteller, angebraten wurde sie ursprünglich vor allem im Ruhrpott. In Berlin landete sie im Wasserbad. So war das früher. Heute ist fast überall alles zu haben.
2009 soll in Berlin das erste Deutsche Currywurst-Museum eröffnen. Dann soll man auch nachlesen können, wozu es die Currywurst international gebracht hat. Denn Exportschlager ist sie schon lange. Vor allem die Japaner sind ganz verrückt auf die Wurst mit Soße. Einen Imbissstand wird es im Museum natürlich auch geben. Wer will schon etwas über die Currywurst lesen, ohne sie zu probieren. Wie gut sie schmecken kann, hat Herbert Grönemeyer schon 1982 besungen:
„Gehse inne Stadt / Wat macht dich da satt / ’ne Currywurst
Kommse vonne Schicht / Wat schönret gibt et nicht / Als wie Currywurst
Mit Pommes dabei / Ach, dann gebense gleich zweimal Currywurst.“